Heiligendamm
Ich weiß, Ihr seid hier, um Poesie und große Literatur zu hören. Tut mir leid, kann ich heute nicht bieten. Ich muss über G8 reden.
Ich habe ja gar nix dagegen, dass sich Staatsmänner unterhalten. Besser als wenn Sie uns mit Waffen ausgerüstet aufeinander loshetzen. Aber ganz so einfach ist es denn doch nicht. Es gibt so einige Gründe, warum man Treffen dieser Art kritisch betrachten oder auch ganz ablehnen kann.
Da ist zum einen die Frage nach der Legitimation. Wer hat diesen acht Leuten eigentlich den Auftrag erteilt, sich unsere Köpfe zu zerbrechen? Oder, um genauer zu sein: die Köpfe der gesamten Menschheit? Die Untertanen dieser Acht bilden jedenfalls genau 13,5 Prozent der gesamten Weltbevölkerung. Okay – diese 13,5 Prozent besitzen fast zwei Drittel der weltweit produzierten Reichtümer. Aber reicht das als Legitimation? Besonders wenn man sieht, wie Leute wie die Herren Bush und Putin an die Macht gekommen sind bzw. sich dort halten? Ist es nicht eher so, dass auf diesen Treffen die Interessen einer Minderheit gewahrt werden, deren Bevölkerungsanteil sich im untersten Promillebereich bewegt?
Dafür kostet er dann allerdings relativ viel, der Spaß in Heiligendamm. Offizielle Schätzungen gehen von ca. 100 Millionen Euro aus. Das ist natürlich sehr optimistisch, wenn man bedenkt, dass die Gipfeltreffen in Frankreich 2003 und Schottland 2005 jeweils mehr als 140 Millionen Euro verschluckt haben.
Warum sind drei Tage an der Küste Mecklenburgs eigentlich so teuer? Das ist ganz einfach zu erklären. So gibt es etwa diverse kleinere Beträge, die sich summieren. Zum Beispiel hat die Bundesregierung ein Logo für den G8-Gipfel entwerfen lassen. Sowas kostet natürlich. In diesem Fall 116.000 Euro.
Aber der entscheidende Batzen geht – nein, falsch, nicht für’s Essen – sondern für die Sicherheit drauf. Kein Wunder, wenn selbst Blockaden schon als Terrorismus bezeichnet werden. Dann muss man sich natürlich etwas einfallen lassen. In diesem Fall waren das dann schon mal 16.000 Polizisten, Bundespolizei inklusive GSG 9 und 1.000 Soldaten der Bundeswehr, die ja eigentlich gar nicht im Inland eingesetzt werden dürften. Macht ja nix. Dürften sie ja in Afghanistan eigentlich auch nicht. Und was die so alles dabei haben: Radar, Sonar, Wärmebildkameras, AWACS Aufklärungsflugzeuge und Abfangjäger der Luftwaffe. Und natürlich Kriegsschiffe. Nicht nur deutsche, sondern übrigens auch britische und US-amerikanische.
Und ein Zaun musste auch dringend gebaut werden. 12,5 Kilometer für 12,5 Millionen Euro. Klar.
Laut „Viva con Agua de Sankt Pauli“ kostet es 16 Euro, um einen Menschen in Äthiopien nachhaltig durch Brunnenbau mit Trinkwasser zu versorgen. Das heißt, für die Zaunkohle hätte man auch 781.250 Menschen langfristig den Zugang zu Trinkwasser sichern können. Und ich wette: Wenn die großen 8 das Geld genau so angelegt hätten, dann bräuchten sie gar keinen Zaun! Bestenfalls, um sich vor den Beifallsbekundungen der sogenannten „Terroristen“ zu schützen.
Gucken wir doch mal, wofür außerdem dringend Geld nötig wäre. 860 Millionen Menschen können nicht Lesen und Schreiben. Das entspricht exakt der Menge an Menschen, die in den durch die G8 repräsentierten Ländern wohnen. Man stelle sich vor, in Deutschland, USA, Groß Britannien, Italien, Frankreich, Japan, Kanada und Russland könnte kein einziger Mensch lesen und schreiben! Unglaublich, oder? Komisch, dass sich so viele andere Länder genau diesen Luxus leisten.
Wenn man jetzt zu den G8-Ländern die Bevölkerung von Spanien, Polen, Tschechien, Österreich, Schweiz, Niederlande, Belgien und Dänemark hinzuzählt, kommt man ziemlich genau auf eine Milliarde Menschen. Genau so viele Menschen haben auf diesem Planeten keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Verrückt? Ja. Aber es geht noch viel verrückter: Alle 5 Sekunden verhungert ein Kind. Das sind 17.280 pro Tag. Und 518.400 jeden Monat. Kann man sich nicht vorstellen? Doch. Dresden hat knapp über 500.000 Einwohner. Jeden Monat stirbt eine Stadt wie Dresden, die allerdings nur aus Kindern besteht. Keins von ihnen stirbt an Krankheit oder bei einem Autounfall. Jedes einzelne verhungert. Was für Potentiale werden da verhungert, wenn man bedenkt, dass aus Dresden zum Beispiel Herbert Wehner, Erich Kästner oder der Maler Gerhard Richter stammen? Im Jahr macht das dann über 6,3 Millionen tote Kinder. Nur zum Vergleich: Rio hat 6 Millionen Einwohner, Madrid 3,1 Millionen.
Gestattet mir bitte ein letztes Zahlenspiel: Jedes Jahr sterben 11 Millionen Kinder an vermeidbaren Krankheiten. Man stelle sich vor: Die Bevölkerung von Berlin, Hamburg, München, Köln, Frankfurt/Main, Stuttgart, Dortmund, Essen, Düsseldorf und Bremen – also der 10 größten deutschen Städte – würde komplett innerhalb eines Jahres im Kindesalter an Durchfall und Grippe zu Grunde gehen!
Auch diesen Luxus gönnen wir uns. Jedes Jahr. Die großen Acht haben kein Interesse, daran etwas zu ändern. Wenn sie über die Probleme Afrikas reden, heißt das, dass sie über Uran reden. Und über Kupfer, Coltan, Gold, Erdöl und so weiter.
Wenn es Terrorismus sein soll, dies anzuprangern, dies zu stören und meinetwegen zu blockieren, dann bekenne ich mich schuldig, Euer Ehren. Ich bin Terrorist.