Susanne Helmer: Auf der Suche nach krachenden Sätzen

 

Einmal ist die Idee mit der Flaschenpost voll aufgegangen: Nach dem National Slam in Düsseldorf hat Thomas seinen Text „Ich habe keine Angst“ zusammen mit seiner Mail-Adresse in den Rhein geworfen. Zwei Wochen später schrieb ihm eine Duisburgerin, die gerade ihren Job verloren hatte. An ihre E-Mail erinnert er sich gut: „Sie erzählte, dass der Text sie aufgebaut hat. Sie war ganz selig, dass gerade sie ihn aus dem Wasser gefischt hat“, sagt er und zieht lächelnd an seiner Zigarette.

 

Nach dem Poetry Slam heute Abend wird Thomas Langkau wieder einen Text auf die Reise schicken. Er sitzt auf einem Ledersofa im Hamburger Stage Club, auf dem runden Tisch vor ihm steht sein zweites Bier. Der Schirm seines Worker Caps zeigt leicht schräg nach oben, er hat es tief in den Nacken gezogen.

 

Jazzklänge gehen im immer lauter werdenden Stimmengewirr unter. Es ist voll. Ungefähr 150 Leute sitzen in Sesseln und auf Stufen, lehnen an Säulen und am Tresen. Thomas will sie mit seinen Worten kriegen. Welchen Text er liest, weiß er noch nicht. Er hat fünf in seiner Jackentasche. „Mit Glück krachen ein, zwei Sätze pro Text richtig rein“, sagt er und kneift dabei seine graugrünen Augen zusammen.

 

Seit 2006 liest der 41-Jährige circa vier Mal im Monat bei Poetry Slams und misst sich mit anderen Wortkünstlern. Anfangs trug er Liedtexte vor, die er vor Jahren für eine Punkband geschrieben hatte. Etwa 150 Mal hat Thomas mit seinen Gedichten und Gedanken schon auf der Bühne gestanden. Und Gleichgesinnte gefunden: Einer von ihnen ist gerade angekommen und legt ihm seine kalte Hand in den Nacken. „Schriftstehler“ hat gestern in Heimfeld gewonnen. Er zieht seine Jacke aus und lässt sich neben Thomas aufs Sofa fallen. Seine Augen wandern durch den Raum, mustern die Säulen, die Ledermöbel, die in rotes Licht getauchte Bühne. Thomas hat ihn dabei beobachtet. „Schwule Atmosphäre hier, oder?“, fragt er. Schriftstehler nickt.

 

Der erste Slammer ist dran. „Startnummer eins ist immer schwierig, die hatte ich selbst erst gestern“, sagt Thomas, während er laut in seine großen Hände klatscht. Der Mann auf der Bühne spricht rhythmisch, wiegt sich im Takt seiner Worte. Das Publikum lacht. Thomas ist heute die Nummer fünf. Nervös ist er nicht, sagt er und dreht seine Zigarettenschachtel in der Hand. Schriftstehler geht auf die Bühne. „Der Mann ist ein Vollblutkünstler“, raunt Thomas in die Stille. Er schaut Schriftstehler zu, bis dieser unter lautem Applaus zu seinem Platz zurückkehrt.

 

Seinen Text holt Thomas aus einer Schutzhülle hervor und rollt ihn in der linken Hand zusammen. Mit Daumen und Zeigefinger der rechten zupft er an seinen Lippen. Gleich ist er dran. Die Moderatorin kündigt den „alten Slam-Hasen Thomas“ an und knappe 1,90 Meter erheben sich. Auf seinem breiten Rücken ist weiß auf schwarz satzsucher.de zu lesen. Als er am Mikrophon steht, kann man das Motiv auf der Brust erkennen: Der St.-Pauli-Totenkopf, mit Schwert und Feder statt der üblichen zwei Knochen. Sein Logo.

 

„Schönen guten Abend“, sagt er, guckt auf den Zettel in seiner Linken und fährt langsam und mit rauer Stimme fort: „Mein Phlegma ist mir egal.“ Ein paar Lacher im Publikum. „Als Gott den Menschen schuf, erschuf er ihn quasi in vier verschiedenen Kategorien. Das behauptet Hippokrates zumindest in seiner Temperamentenlehre.“

 

Schriftstehler sagt, das sei ein typischer Thomas-Text, vorgetragen in der typischen  Thomas-Art, wie er da oben steht, schelmisch lächelt und den Prototyp des Phlegmatikers mimt.

 

„Ich habe keine Zimmerpflanzen, weil es mich stresst, ihnen beim Wachsen zuzusehen.“

 

Derselbe Thomas Langkau ist für dreißig Stunden pro Woche Dozent an einer Hamburger Schule für Altenpflege. Dort spricht er über Nieren, Thrombosen und den Umgang mit alten Menschen. Und findet es immer wieder aufs Neue befremdlich, wenn Schüler „Herr Langkau“ zu ihm sagen. Wenn er ihnen Klausuren austeilt, obwohl er gerade noch mit ihnen über das letzte Spiel im Stadion gesprochen hat. „Absurd“ wird er das später nennen und energisch den Kopf schütteln. „Ich bin einfach kein Mensch, der sich so stark mit seiner Arbeit identifiziert“, sagt er. Bei den Slams aber könne er auf hohem Niveau erzählen, was ihn wirklich bewegt.

 

„Wenn mir etwas herunterfällt, hebe ich es nicht auf. Nein ... ich lege mich daneben.“

 

Lautes Auflachen, Pfiffe, sekundenlanges Johlen. Thomas grinst. Der Satz ist immer ein Kracher. Bei seiner Rückkehr an den Tisch bringt er eine Duftwolke aus Bier und Qualm mit. Er zeigt die Flaschenpost, die er morgen in die Elbe werfen will. Das Jack-Daniels-Etikett hat er entfernt, die Flasche gründlich ausgewaschen und das Papier in ihrem Inneren akkurat mit Geschenkband umwickelt. „Ich find’s spannend, wo diese Flasche wohl hin schwimmt. Und ob der, der sie findet, etwas mit dem Text anfangen kann“, sagt er.

 

Thomas will noch in Ruhe eine rauchen, als ihn ein Mann vom Nebentisch anspricht, einer, der ihn schon mal gehört hat. Plötzlich ist er wieder hellwach, sie reden eine Weile. „Das ist das Geilste, wenn am Ende einer kommt und sagt, wow, was du gemacht hast, hat mir gefallen“, freut sich Thomas. Schriftstehler ist auf dem Sprung, will sich verabschieden. Nächsten Dienstag sehen sie sich wieder. Beim Slam im Molotow.

 

(Reportage, Februar 2010)