Erich Kästner: Fabian - die Geschichte eines Moralisten

 

Hier gibt es Auszüge aus meinem Lieblingsbuch "Fabian". Am besten kaufen und ganz lesen!

 

>>> Der Handelsredakteur lächelte, freilich nur mit dem Mund. „Ich lüge auch“, erwiderte er. „Aber ich weiß es. Ich weiß, dass das System falsch ist. Bei uns in der Wirtschaft sieht das ein Blinder. Aber ich diene dem falschen System mit Hingabe. Denn im Rahmen des falschen Systems, dem ich mein bescheidenes Talent zur Verfügung stelle, sind die falschen Maßnahmen naturgemäß richtig und die richtigen sind begreiflicherweise falsch. Ich bin ein Anhänger der eisernen Konsequenz und ich bin außerdem...“

„Ein Zyniker“, warf Münzer ein, ohne aufzublicken.

Malmy hob die Schultern. „Ich wollte sagen, ein Feigling. Das trifft noch genauer. Mein Charakter ist meinem Verstand in keiner Weise gewachsen. Ich bedaure das aufrichtig, aber ich tue nichts mehr dagegen.“ <<<  [Fabian, 3. Kapitel]

 

 

>>> Nun begann Malmy seine Rede: „Wenn das, woran unser geschätzter Erdball heute leidet, einer Einzelperson zustößt, sagt man schlicht, sie habe Paralyse. Und sicher ist ihnen bekannt, dass dieser äußerst unerfreuliche Zustand mitsamt seinen Folgen nur durch eine Kur heilbar ist, bei der es um Leben und Tod geht. Was tut man mit unserem Globus? Man behandelt ihn mit Kamillentee. Alle wissen, dass dieses Getränk nur bekömmlich ist und nichts hilft. Aber es tut nicht weh. Abwarten und Tee trinken, denkt man und so schreitet die öffentliche Gehirnerweichung fort, dass es eine Freude ist.“ <<<  [Fabian, 3. Kapitel]

 

 

>>> „Ich kann vieles und will nichts. Wozu soll ich vorwärts kommen? Wofür und wogegen? Nehmen wir wirklich einmal an, ich sei der Träger einer Funktion. Wo ist das System, in dem ich funktionieren kann? Es ist nicht da und nichts hat Sinn.

[...] Wenn ich sage, ich bin kein Kapitalist, dann meine ich: Ich habe kein pekuniäres Organ. Wozu soll ich Geld verdienen? Was soll ich mit dem Geld anfangen? Um satt zu werden, muss man nicht vorwärts kommen. Ob ich Adressen schreibe, Plakate bedichte oder mit Rotkohl handle, ist überhaupt gleichgültig. Sind das Aufgaben für einen erwachsenen Menschen? Rotkohl en gros oder en detail, wo steckt der Unterschied? Ich bin kein Kapitalist, wiederhole ich Dir! Ich will keine Zinsen, ich will keinen Mehrwert.“ <<<  [Fabian, 5. Kapitel]

 

 

>>> Er steckte den Zwanzigmarkschein ein. Jetzt saß die Mutter im Zug und bald musste sie den anderen Zwanzigmarkschein finden, den er ihr in die Handtasche gelegt hatte. Mathematisch gesehen, war das Ergebnis gleich Null. Denn nun besaßen beide die selbe Summe wie vorher. Aber gute Taten lassen sich nicht stornieren. Die moralische Gleichung verläuft anders als die arithmetische. <<<  [Fabian, 13. Kapitel]

 

 

>>> Auf einer Wirtschaftstagung waren internationale Abkommen großen Stils gefordert worden. War dergleichen nur Schönrederei? Oder begriff man allmählich, was alle wussten? Erkannte man, dass die Vernunft das Vernünftigste war? Vielleicht hatte Labude Recht gehabt? Vielleicht war es wirklich nicht nötig, auf die sittliche Hebung der gefallenen Menschen zu warten? Vielleicht war das Ziel der Moralisten, wie Fabian einer war, tatsächlich durch wirtschaftliche Maßnahmen erreichbar? War die moralische Forderung nur deswegen uneinlösbar, weil sie sinnlos war? War die Frage der Weltordnung nichts weiter als eine Frage der Geschäftsordnung?

[...] Wollte er die Besserung der Zustände? Er wollte die Besserung der Menschen. Was war ihm jenes Ziel ohne diesen Weg dahin? Er wünschte jedem Menschen pro Tag zehn Hühner in den Topf, er wünschte jedem ein Wasserklosett mit Lautsprecher, er wünschte jedem sieben Automobile, für jeden Tag der Woche eins. Aber was war damit erreicht, wenn damit nichts anderes erreicht wurde? Wollte man ihm etwa weismachen, der Mensch würde gut, wenn es ihm gut ginge? Dann mussten ja die Beherrscher der Ölfelder und der Kohlengruben wahre Engel sein!

Hatte er nicht zu Labude gesagt: ‚Noch in dem Paradies, das du erträumst, werden sich die Menschen gegenseitig die Fresse vollhauen?’ War das Elysium mit zwanzigtausend Mark Durchschnittseinkommen pro Barbaren ein menschenwürdiger Abschluss?

[...] Waren jene humanen, anständigen Normalmenschen, die er herbeiwünschte, in der Tat wünschenswert? Wurde dieser Himmel auf Erden, ob er nun erreichbar war oder nicht, nicht schon in der bloßen Vorstellung infernalisch? War ein derart mit Edelmut vergoldetes Zeitalter überhaupt auszuhalten? War es nicht viel eher zum blödsinnig Werden? War vielleicht jene Planwirtschaft des reibungslosen Eigennutzes nicht nur der eher zu verwirklichende, sondern auch der eher erträgliche Idealzustand? Hatte seine Utopie bloß regulative Bedeutung und war sie als Realität ebenso wenig zu wünschen wie zu schaffen?

[...] Labude hatte auf dem Boden der Tatsachen gestanden, hatte marschieren wollen und war gestolpert. Er, Fabian, schwebte, weil er nicht schwer genug war, im Raum und lebte weiter. Warum lebte er denn noch, wenn er nicht wusste, wozu? Warum lebte der Freund nicht mehr, der das Wozu gekannt hatte? Es starben und es lebten die Verkehrten. <<<  [Fabian, 21. Kapitel]

 

 

>>> „So war es immer in der Weltgeschichte“, sagte Wenzkat entschieden und trank sein Glas leer.

„Und so sieht sie auch aus von vorn bis hinten, die Weltgeschichte!“, rief Fabian. „Man schämt sich, dergleichen zu lesen, und man sollte sich schämen, den Kindern dergleichen einzutrichtern. Warum muss es immer so gemacht werden, wie es früher gemacht wurde? Wenn das konsequent geschehen wäre, säßen wir heute noch auf den Bäumen.“

„Du bist kein Patriot“, behauptete Wenzkat.

„Und du bist ein Hornochse“, rief Fabian. „Das ist noch viel bedauerlicher.“ <<<  [Fabian, 23. Kapitel]

 

 

>>> Fabian saß im Cafe Limberg, trank Kognak und machte sich Gedanken. Es war hirnverbrannt, was er plante. Er wollte, falls man die Gnade hatte, ihn zu nehmen, einer rechtsstehenden Zeitung behilflich sein, sich auszubreiten. Wollte er sich etwa einreden, ihn reize die Propaganda schlechthin, ganz gleich, welchen Zwecken sie diente? Wollte er sich so betrügen? Wollte er sein Gewissen wegen zweier Hundertmarkscheine im Monat Tag für Tag chloroformieren? Gehörte er zu Münzer und Konsorten?

Die Mutter würde sich freuen. Sie wünschte, dass er ein nützliches Glied der Gesellschaft würde. Ein nützliches Glied dieser Gesellschaft, dieser GmbH! Es ging nicht. So marode war er noch nicht. Geld verdienen war für ihn noch immer nicht die Hauptsache.

[...] Worauf wartete er seit Jahren? Vielleicht auf die Erkenntnis, dass er zum Zuschauer bestimmt und geboren war, nicht, wie er heute noch glaubte, zum Akteur im Welttheater? <<<  [Fabian, 24. Kapitel]